Samstag, 8. September 2012

melissas haare

als das telefon klingelt wäscht melissa gerade kopfüber in der wanne ihre haare. es ist anna.
-ich ruf dich gleich zurück, ruft sie in den hörer und legt gleich wieder auf.
sie lässt das warme wasser über ihre kopfhaut rieseln, lange blondgetönte strähnen wellen sich an der badewannenwand entlang. sie schliesst die augen und geht in gedanken die dinge auf ihrer to-do-liste für den heutigen tag durch. noch einen moment den warmen strom geniessen, bevor sie raus muss in diese grobe welt. Sie wickelt schliesslich die nassen haare in einem turban auf den kopf, setzt sich auf die treppe und wählt annas nummer.
-melissa, ich blute, japst annas stimme, die duschwand ist auf mich gekracht, ich glaub ich verblute, kreischt sie, leise zwar aber durchdringend.
melissas puls ist sofort auf hundert
- bleib ganz ruhig, anna. hast du den notarzt gerufen?
-ja... quietscht anna
-ok. ich bin sofort da, bleib ganz ruhig, alles wird gut.

oh nein, nicht auch noch sowas jetzt. als wenn sie nicht schon genug um die ohren hätte. aber anna klang wirklich panisch, so hat sie ihre freundin noch nie kreischen gehört. Schnell wirft sie sich ein paar klamotten über und macht sich auf den weg zur u-bahn.

melissa löst ihre beine vom klebrigen blauen plastiksitz und stellt sich in die nähe der eingangstür. ein typ starrt sie an. auf ihrem busen bilden sich nasse flecken von ihren ungeföhnten haaren. ein leichter ekel überfliegt sie. sie dreht sich weg, lauscht dem rattern der bahn.
sie wählt annas nummer nun schon zum fünften mal, aber niemand meldet sich.
ihre beine und füsse schmerzen von einer durchtantzen nacht im tango keller. zu viel wein, zu viele schlechte tänzer.
auch an annas wohnungstür regt sich nichts auf ihr klingeln hin. also kramt sie den schlüssel aus ihrer tasche und schliesst auf. gleich im flur sieht sie eine blutlache. das bad gleicht einem trümmerfeld. die duschwand liegt in tausend splittern zerstreut über dem boden und in der wanne. dazwischen dunkelrote blutspritzer auf weissen fliesen.
sie lässt sich im flur auf den boden sinken. denk nach! treibt sie sich selbst an, aber ihr gehirn scheint nicht mehr zu funktionieren. sie sieht einen schleier auf sich zukommen und schon brechen die tränen hervor. sie schluchzt, es schüttelt sie, endlich löst sich dieser damm, den sie seit monaten, nein seit jahren schon zurückhält, endlich einfach fallen lassen, wie gut das tut. alles ist jetzt egal, alles ist ok irgendwie. sie weint und hält sich dabei selbst im arm, wiegt sich hin und her. langsam wird ihr atem ruhiger, die tränen fliessen weich.
das handy klingelt.
-frau neugeboren ist im krankenhaus altona, sie hat uns gebeten Sie anzurufen, sie können sie abholen kommen.
melissa fährt sich durch die haare. beinahe trocken sind sie jetzt, nur ihre bluse schimmert immer noch feucht.




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